Gemeindegeschichte 1953 - 1978
Seit 1688 gibt es in der Ev.-Luth. Kirchengemeinde Rahden zwei Pfarrstellen. Mochte das Zahlenverhältnis von Gemeindegliedern zu der Zahl der Pastoren zum damaligen Zeitpunkt einigermaßen angemessen gewesen sein, in der Mitte des 20. Jahrhunderts war es das längst nicht mehr.
Bis zum Jahr 1953, als die Kirchengemeinde Rahden die 600-Jahrfeier ihrer St. Johannis-Kirche beging, war die Zahl der Gemeindeglieder auf 12.000 angewachsen, an der Zahl der Pfarrstellen hingegen hatte sich nichts geändert. Während der Landesdurchschnitt in der Evangelischen Kirche von Westfalen bei 2500 liegt, hatten die Rahdener Pastoren je 6000 Gemeindeglieder zu betreuen. Die Zahl der Amtshandlungen war entsprechend hoch, die kirchlichen Unterrichtsgruppen umfassten pro Pfarrstelle und Jahrgang an die 100 Jungen und Mädchen.
Eine Änderung dieser beschwerlichen Verhältnisse kam erst 1961 in Sicht. Die damals durchgeführte landeskirchliche Visitation des Kirchenkreises Lübbecke und seiner Kirchengemeinden durch Präses Wilm führte zur schnellen Genehmigung und Einrichtung der 3. Pfarrstelle, die 1962 erstmals besetzt wurde. 1967 kam die 4. Pfarrstelle hinzu. Seitdem sind in Rahden vier Pfarrer tätig (Red.: gewesen). Dieses wirkte sich auf allen Gebieten der Gemeindearbeit segensreich aus.
Nun ließ sich der langgehegte Wunsch des Presbyteriums verwirklichen, auch in den Außendörfern regelmäßig Gottesdienste zu feiern, wo bisher nur in größeren Zeitabständen in Schulen Bibelstunden, Abendmahlsfeiern und Passionsandachten gehalten wurden.
In Wehe (1963) und Tonnenheide (1969) wurden Gottesdienststätten errichtet, in Varl (1968) und Sielhorst (1971) bauten die damals noch selbständigen politischen Gemeinden Friedhofskapellen, an deren Einrichtung sich die Kirchengemeinde beteiligte, weil hier von Anfang an beabsichtigt war, gottesdienstliches Leben entstehen zu lassen. In der Altgemeinde Espelkamp stand - bevor später das Paul-Gerhardt-Haus errichtet wurde - lediglich die Turnhalle zur Verfügung, in der die Trauerfeiern und in größeren Abständen auch Gottesdienste stattfanden.
Die Folgejahre haben gezeigt, dass die Gemeindeglieder in den Außendörfern die Gottesdienste angenommen haben, ohne dass die Zahl der Gottesdienstbesucher in der St. Johannis-Kirche spürbar abgenommen hätte.
Durch die Errichtung der Gottesdienststätten wurde in Wehe (1964) und Tonnenheide (1970) die Gründung eigener Frauenhilfsgruppen möglich. Auch in Varl (1972), Sielhorst (1972) und Alt-Espelkamp (1973) entstanden Frauenhilfen (Red.: Frauenkreise), allerdings waren diese bei ihren Zusammenkünften auf Gasthaussäle angewiesen. In Rahden, Wehe und Tonnenheide etablierten scih Frauen-Abendkreise und Mütterkreise; auch wurde mit der Kinderchorarbeit begonnen. Zur gleichen Zeit sind in allen Außendörfern auch dei adventlichen Altenfeiern zur festen Tradition geworden.
Für die Kirchengemeinde Rahden war es ein glücklicher Umstand, dass sie gerade in dem Augenblick ihre Aktivitäten in den Außendörfern verstärken konnte, als diese zum 1. Januar 1973 im Zuge der kommunalen Gebietsreform ihre politische Selbständigkeit einbüßten. Neben dem regen Vereinsleben haben die kirchlichen Aktivitäten dazu beigetragen, dass die alten Dorfgemeinschaften erahlten blieben.
In Rahden konnte am 1. Mai 1966 das neue Gemeindehaus eingeweiht werden, das die alte Schule von 1834 abgelöst hat, die 1913 von der Kirchengemeinde erworben wurde, um fortan als Gemeindehaus zu dienen. 1972 wurde sie abgebrochen, um einem zu errichtenden Mitarbeiterwohnhaus Platz zu machen. Die alte Schule enthilet neben den Wohnungen für Gemeindeschwestern und die Küsterfamilie lediglich einen Gruppenraum für Sitzungen und Jugendstunden sowie zwei abgenutzte Räume für den kirchlichen Unterricht, von denen der größere auch für Frauenhilfsstunden, für die Übungsstunden der Chöre sowie für andere Gemeindeveranstaltungen genutzt wurde. Das Gebäude entsprach nach Größe und Qualität längst nicht mehr den Anforderungen einer zeitgemäßen Gemeindearbeit.
Im neuen Gemeindehaus sind neben einem großen Saal, drei Unterrichtsräume, Gemeindebüro, Küche und Toiletten, Räume für die Jugendarbeit geschaffen worden. Da die veranschlagten Baukosten in Höhe von DM 600.000 nicht erreicht wurden, konnte es sich das Presbyterium erlauben, den großen Saal mit einer Holzvertäfelung zu versehen, um einersteits diesem einen festlichen Charakter zu verleihen, andererseits die späteren Unterhaltungskosten niedrig zu halten.
Die St. Johannis-Kirche ist im Sommer 1969 in enger Zusammenarbeit mit dem Amt für Denkmalpflege in Münster gründlich renoviert worden und erhielt 1970 einen neuen Außenanstrich. Nach Aussagen des Landeskonservators Dr. Wildemann ist die Rahdener St. Johannis-Kirche die einzige Kirche in Westfalen, die in ihrem klassizistischen Stil so rein erhalten geblieben ist.
Bei der Renovierung wurde der seit 1934 bestehende und auf den Altar zulaufende Mittelgang beseitigt, um der Gemeinde mehr Plätze mit Blick auf Altar und Kanzel zu bieten. Dafür wurde im südlichen Teil des Kirchenschiffs das feste Gestühl entfernt, um für feierliche Einzüge und dergleichen genügend Platz zu erhalten. Bei Bedarf können in disem Bereich jederzeit Stühle aufgestellt werden.
Am Orgelprospekt von 1789, am hölzernen Taufstein von 1709 und im gesamten Kanzelbereich ist der Anstrich von 1789 - dem Jahr des gründlichen Umbaus der Kirche - freigelegt worden. Dabei kam auf der Vorderseite der Kanzel der Bibelspruch zum Vorschein: "Selig sind die Gottes Wort hören und bewahren" (Luk. 11,28). Auf der Kanzeltür wurde nach Beseitigung der Deckschicht die Imitation eines purpurfarbenen Vorhangs wieder hervorgeholt. Die rechts und links von der Kanzel befindlichen und bis zum Schalldeckel hochragenden stilisierten Säulen waren ursprünglich an der Seite mit Ornamenten versehen, die man irgendwann abgenommen und auf dem Turmboden abgelegt hatte. Diese wurden im Zuge der Kirchenrenovierung restauriert und wieder angebracht.
Im Chorraum befanden sich zu beiden Seiten zwischen Außenmauer und Säulenreihe quergestellte enge Konfirmandenbänke. Durch die Herausnahme dieser Bänke wurde der Chorraum erheblich erweitert. Zugleich hat man den Holzfußboden durch Sandsteinplatten ersetzt. An der vordersten Eichensäule der Südseite und einem Teil der dortigen Emporenbrüstung ist der Originalanstrich von 1789 freigelegt worden. Die übrigen 11 Säulen und die gesamte Brüstung wurden aus Kostengründen lediglich übermalt. Im oberen Teil der Sakristeitür wurde das dort vorhandene Sprossenfenster entfernt. Das Tonnengewölbe erhielt statt des düsteren blauen Farbtons einen freundlichen hellen Anstrich. Alle Konservierungs- und Malerarbeiten im Innenraum der Kirche wurden vom Team des Kirchenmalers Peter (Levern) durchgeführt. Den Außenanstrich übernahm Malermeister Meier, Espelkamp-Altgemeinde. Die abgängige alte Dampfheizung wurde entfernt und die neuen Heizkörper erhielten einen Anschluss an die bereits dafür ausgelegte Heizung im neuen Gemeindehaus.
Im Juni 1972 erhielt die St. Johannis-Kirche unter Beibehaltung des Prospekts von 1789 eine neue Orgel der Fa. Hammer, Hannover.
Seit 1917 gibt es in der Kirchengemeinde Rahden eine Gemeindeschwesterstation, die durch das jahrzehntelange segensreiche Wirken der beiden Diakonissen Schwester Aleipa Helper (1929-1971) und Schwester Frieda Kleineberg (1935-1967) ein besonderes Profil erhielt. Als Schwester Frieda 1967 aus Gesundheitsgründen mit 64 Jahren ihre Arbeit in Rahden aufgeben musste, hat das Mutterhaus Sarepta beide Gestellungsverträge mit der Kirchengemeinde Rahden gekündigt. Schwester Aleida wrude aber noch bis auf weiteres in Rahden belassen, bis auch sie 1971 mit 73 Jahren in den Ruhestand trat.
In der Folgezeit kam es bald zur Gründung einer Diakoniestation Rahden, die später auf Grund der staatlichen Richtlinien mit der Station in Stemwede zur "Diakoniestation Nord" vereinigt wurde. Träger ist seitdem das Diakonische Werk des Kirchenkreises Lübbecke, die beteiligten Kirchengemeinden sind im Kuratorium vertreten.
Im Oktober 1967 wurde im Gottesdienst des 50-jährigen Bestehens der Gemeindeschwesternstation Rahden gedacht. Wegen der vom Mutterhaus ausgesprochenen Kündigung der Verträge hatte man von einer besonderen Jubiläumsfeier abgesehen.
Im Mai 1968 ist "Am Brullfeld" der erste Kindergarten der Kirchengemeinde eröffnet worden. Damit ging ein langgehegter Wunsch der Gemeindeglieder in Erfüllung. Ein mit Vertretern des Presbyteriums und der politischen Gemeinden Rahden und Kleinendorf paritätisch besetzter Kindergartenausschuss hat die Planungen vorbereitet und den Fortgang der Bauarbeiten begleitet. Die kommunale Seite hatte sich bereit erklärt - was später auch in anderen Gemeinden so praktiziert wurde - 50 % der auf den Träger entfallenden Bau- und Unterhaltungskosten zu übernehmen.
Schon wenige Jahre später erwies sich der Bau eines weiteren Kindergartens als notwendig. Presbyterium und die Gemeinden Rahden und Kleinendorf - ab 1.1.1973 die Stadt Rahden - haben hier nach gleichem bewährten Muster zusammengearbeitet. Der Kindergarten an der Schulstraße konnte im September 1974 eingeweiht werden.
Durch die Elternarbeit hat die Kirchengemeinde die Verbindung zu vielen jungen Familien aufgenommen und intensiviert. Sie sieht in der Kindergartenarbeit eine wichtige und in unserer Zeit besonders notwendige Aufgabe an den Kindern wie an den Eltern.
Die verstorbenen Gemeindeglieder der gesamten Kirchengemeinde Rahden - einschließlich Pr. Ströhen - wurden seit Bestehen der St. Johannis-Kirche uzm dieselbe herum bestattet. 1808 wurde dann auf Anordnung Napoleons der heutige Friedhof an seiner jetzigen Stelle angelegt. 1847 erhielt die damals selbständig gewordene Kirchengemeinde Pr. Ströhen einen eigenen Friedhof und die übrigen Außendörfer - außer Kleinendorf - haben in späteren Jahren ebenfalls je einen eigenen Friedhof angelegt.
1960 bereits war auf dem Rahdener Friedhof eine Kapelle errichtet worden, weil Aufbahrungen und Trauerfeiern in den Häusern und Wohnungen kaum noch möglich waren.
Zum 1. Mai 1965 erheilt der Rahdener Friedhof eine neue Friedhofs- und Gebührenordnung, die eine karteimäßige Erfassung aller Grabstellen erforderlich machte. In diesem Zusammenhang wruden die Grabstellen der Familien aus den Außendörfern, deren Ruhezeiten lange abgelaufen waren, von den Nutzern aufgegeben, so dass ein erhebliches Platzangebot zur Verfügung stand und eine Neugestaltung ganzer Friedhofsteile ermöglicht wurde.
Da die Finanzgemeinschaft aller Kirchengemeinden des Kirchenkreises Lübbecke erst 1975 gebildet wurde, hat die Ev.-Luth. Kirchengemeinde Rahden alle aufgeführten Bauvorhaben mehr oder weniger allein finanzieren müssen. Sie konnte dieses, weil angesparte Rücklagen, laufende Kirchensteuereinnahmen sowie gezielte öffentliche Zuschüsse zur Verfügung standen.
Paul Gerhard Tegeler
ehem. Pfarrer der Gemeinde und ehem. Superintendent des Kirchenkreises Lübbecke
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