Abschiedsgottesdienste zum Jahresende
Neue Westfälische, 31. Dezember 2024, von Jörn Spreen-Ledebur
Das letzte Wochenende im Jahr 2024 war ein Wochenende, das mit Sicherheit in die Geschichte der evangelischen Kirchengemeinde Rahden und auch in die Geschichte der Städte Rahden und Espelkamp eingehen wird. Über Jahrzehnte waren im Paul-Gerhardt-Haus in Alt-Espelkamp, in der Auferstehungskirche in Wehe und in der Christuskirche Tonnenheide Gottesdienste gefeiert worden. Diese Ära ist vorbei.
Was bisher geschah
Pr. Ströhen wurde 1847 von der Rahdener Gemeinde abgepfarrt und wurde selbstständige Kirchengemeinde. Nach dem Zweiten Weltkrieg gehörten sehr viele Menschen der Kirchengemeinde Rahden an, die Gemeinde zeigte schließlich auch mit Gebäuden Präsenz in den Ortschaften, die zur Gemeinde gehören. In Wehe wurde die Auferstehungskirche im Jahr 1963 eingeweiht. Die Christuskirche Tonnenheide wurde im November 1969 eingeweiht. Das Paul-Gerhardt-Haus in Alt-Espelkamp war die jüngste Predigtstätte der Rahdener Gemeinde und wurde im Februar 1992 eingeweiht.
Die Gründe für die neuen Strukturen
Die beiden großen christlichen Kirchen verzeichnen sinkende Mitgliederzahlen und sinkende Einnahmen bei der Kirchensteuer. Das alles trifft auch die evangelische Kirchengemeinde Rahden. Neben sinkenden Mitgliederzahlen und Steuereinnahmen wird sich auch die personelle Situation ändern. Künftig werden es noch zwei statt vier Seelsorger sein. Die Seelsorger Udo Schulte und Gisela Kortenbruck gehen im kommenden Sommer in den Ruhestand. Es bleibt das Pfarrer-Ehepaar Lena Heucher Baßfeld und Klaus-Hermann Heucher.
Die Entscheidung
Angesichts dieser Entwicklungen hatte das Presbyterium im Spätsommer 2022 beschlossen, die Weher Auferstehungskirche und die Tonnenheider Christuskirche ebenso aufzugeben wie das Paul-Gerhardt-Haus in Alt-Espelkamp. Die Gemeinde konzentriert sich auf die St.-Johannis-Kirche und das Gemeindehaus in Rahden, will aber in den Ortschaften weiter präsent sein. St. Johannis ist die Keimzelle der Rahdener Gemeinde. Die war einst Teil der Kirchengemeinde Dielingen und wurde 1353 mit der Gründung von St. Johannis selbstständig.
Mit den Gottesdiensten an Heiligabend 2024 endete auch die Tradition der Gottesdienste, die die Kirchengemeinde in den städtischen Friedhofskapellen in Varl und Sielhorst anbot.
Die künftige Nutzung
Die Stadt Rahden will im Jahr 2025 mit der Sanierung der Friedhofskapelle in Rahden beginnen. Sie soll künftig der zentrale Ort für Trauerfeiern sein. Hinter der Zukunft der Kapellen in Varl und Sielhorst steht ein großes Fragezeichen, denn beide Gebäude sind stark sanierungsbedürftig, die Kasse der Stadt aber ist leer. Während der Sanierung der Rahdener Kapelle mietet die Stadt Rahden die bisherigen Kirchen Tonnenheide und Wehe an, damit die für Trauerfeiern genutzt werden können. Die Stadt trägt Betriebskosten für Reinigung und Heizung, Miete muss nicht gezahlt werden.
Das Paul-Gerhardt-Haus steht weiterhin für Trauerfeiern zur Verfügung. Die Nutzung des Gebäudes für Trauerfeiern sei gesichert, sagte Espelkamps Bürgermeister Henning Vieker. Wie es auf Dauer weitergeht, das werde noch beraten und es werde eine Bürgerversammlung geben. Es könnte sich allerdings abzeichnen, dass künftig auch die Stadt Espelkamp in puncto Paul-Gerhardt-Haus mit im Boot sitzt.
Am 28. und 29. Dezember verabschiedeten sich die Gläubigen mit Gottesdiensten von den Predigtstätten in Alt-Espelkamp, Wehe und Tonnenheide. Im Anschluss an die Gottesdienste konnten sie sich noch treffen und Erinnerungen an die drei Predigtstätten austauschen. Zur Liedauswahl der Gottesdienste gehörten weihnachtliche Melodien wie „Ich steh’ an deiner Krippen hier“ und „O du fröhliche“, aber auch Lieder, deren Botschaften Hoffnung wecken wie „Vertraut den neuen Wegen“ und „Von guten Mächten wunderbar geborgen“. Die Kollekte bei allen drei Gottesdiensten kommt der Arbeit für wohnungslose Menschen zugute. Die Klingelbeutel-Sammlung wird für die diakonische Arbeit in der Kirchengemeinde verwendet.
Nach dem Gottesdienst wurde die Osterkerze aus den Kirchen getragen. Die Osterkerze sei ein Symbol des auferstandenen und lebendigen Jesus Christus und Symbol des lebendigen Glaubens, sagte Pfarrer Udo Schulte. Als die Kerze herausgetragen wurde, spielte der Posaunenchor „Tollite hostias“, den Schlusschor aus dem Weihnachtsoratorium (Oratorio de Noel) von Camille Saint-Saens.
Paul-Gerhardt-Haus Alt-Espelkamp
Die Predigt beim letzten Gottesdienst im Paul-Gerhardt-Haus in Alt-Espelkamp hielt Pfarrerin Gisela Kortenbruck. Sie hatte den Schlüssel dabei, den Architektin Anke Kükelhan bei der Einweihung des Gebäudes im Februar 1992 dem damaligen Pfarrer Werner Milstein überreicht hatte. „Dieser Schritt, dieser Tag fällt uns schwer“, merkte Kortenbruck an. Sie erinnerte an die vielen unterschiedlichen Gottesdienste und an wunderschöne Feste ebenso wie an die kulturellen Veranstaltungen wie Konzerte und Lesungen, für die sich seinerzeit Werner Milstein sehr engagiert hatte. Dankbar und stolz könne man auf die Arbeit und das Gemeindeleben sein, das im Paul-Gerhardt-Haus möglich war.
„Was bleibt, sind die Erinnerungen an das, was wir mit und in diesem Haus erlebten.“ „Lachen und Weinen hat hier seinen Ort gehabt.“ Viele Menschen in der Altgemeinde seien traurig und enttäuscht, manche würden nicht verstehen, „warum dieser Schritt nötig ist“. Traurig sein über eine Entscheidung heiße aber nicht, dass die Entscheidung falsch war. Es werde sich aber manches entwickeln, das dem Paul-Gerhardt-Haus eine gute Perspektive gebe. Es bleibe aber als Fundament das Wort Gottes, „das uns Kraft und Trost gibt“.
So schwer der Abschied auch fallen möge, so müsse der Blick doch in die Zukunft gehen, sagte Kortenbruck. „Wir dürfen nicht stehenbleiben. Wir müssen auf dem Weg bleiben, das Zukünftige suchen.“ Das sei Aufgabe als Gemeinde und Kirche. Orientierung gebe Christus, „er steht uns verlässlich zur Seite“. Die Kirche und auch die Rahdener Gemeinde gingen gerade durch eine schwere Zeit, aber sie seien nicht am Ende. Gott sei immer da und Veränderungen öffneten auch Räume für Neues. Die Gemeinde werde präsent bleiben, „auch hier in Alt-Espelkamp“. Sie werde die Räume nutzen, die ihr verblieben – St. Johannis und das Gemeindehaus in Rahden.
Auferstehungskirche Wehe
Mit ihren ganz persönliche Erinnerungen betraten Gläubige am Sonntagmorgen die Auferstehungskirche Wehe, um dort am letzten Gottesdienst teilzunehmen. Manche wurden hier getauft, andere gaben sich hier das Ja-Wort. Das griff in seiner Predigt auch Pfarrer Klaus-Hermann Heucher auf. Menschen seien in der Auferstehungskirche von Pfarrer Röhling getauft worden, andere von Pfarrer Rohrbeck getraut worden. Heucher erinnerte an Fotos aus den 1990er-Jahren von einer Kinderbibelwoche mit Pfarrerin Micaela Strunk-Rohrbeck. Diese Fotos gäben gute Einblicke „in das Leben in dieser Kirche als Ort der Gemeinschaft“. Die Geschichte Jesu Christi sei keine Vergangenheit, „wir sprechen von der Auferstehung. Die Auferstehungskirche ist ein Hinweis auf Gottes Gegenwart unter uns“.
Das Leben ändere sich fortwährend, das Jahr 2024 sei ein ganz anderes als das Jahr 1963. Vieles habe sich verändert, nicht nur liturgisch, sondern auch baulich. Heucher erinnerte an verschiedenste Maßnahmen in der Weher Kirche, etwa eine neue Küchenzeile, Barrierefreiheit, ein Holzparkett für den Fußboden oder die Kreuzwegstationen von Helmut Winkelmann neben der Kirche. Viele Menschen hätten ehrenamtlich geholfen, „dass diese Kirche eine einladende Kirche ist“. Bei allen Anstrengungen aber gebe es Entwicklungen, die man nicht steuern könne. Entwicklungen würden nicht danach fragen, wie es gestern gewesen sei. Heucher erinnerte an die Veränderungen in der Arbeitswelt und deren Auswirkungen auf die Zeit für ehrenamtliches Engagement etwa in der Kirche. In der medialen Welt mit ihren Online-Angeboten gebe es auch weniger Geschäfte, Banken, Kirchen und auch Friedhöfe. „Das ist schade, das bedauern wir.“ Es sei ein Verlust von gemeinsamen Orten. Wer aber 15 Jahre oder jünger sei, der kenne die Welt nicht anders.
In Rahden werde urkundlich nachweisbar seit 750 Jahren gemeinsam gebetet, viele Gläubige nutzten heute regelmäßig auch die Online-Gottesdienste der Gemeinde, sagte Heucher. Den Gläubigen sprach er in der Stunde des Abschieds von der Auferstehungskirche Trost und Zuversicht zu. Gott sei immer mit den Menschen unterwegs und wolle bei ihnen wohnen.
Christuskirche Tonnenheide
Den Abschiedsgottesdienst am Sonntagnachmittag in der Tonnenheider Christuskirche feierten Gläubige aus Schmalge und Tonnenheide, darunter der Tonnenheider Ortsvorsteher Christian Krüger und seine Schmalger Kollegin Marlies Schröder. Pfarrerin Lena Heucher-Baßfeld erinnerte an das lebendige Gemeindeleben im Ort. Die Lebensgeschichte vieler Menschen im Ort sei mit der Christuskirche verbunden. Die Gemeindeglieder hätten sich sehr für ihre Gemeinde und ihre Kirche engagiert. Das habe nicht nur die Christuskirche aufgewertet, sondern auch die Menschen zusammengebracht. Der Abschied erfülle viele Menschen mit Schmerz.
Ältere erinnerten sich noch, zu Fuß zu den Gottesdiensten in St. Johannis nach Rahden gegangen zu sein – so wie über Jahrhunderte. St. Johannis werde wieder das Ziel sein für die Gottesdienst-Besuche. Die Gruppen in den Bezirken der Kirchengemeinde seien zusammengewachsen, sagte Lena Heucher-Baßfeld. „Wir sind eine Gemeinde.“ Die Christuskirche werde aufgegeben, aber die Kirche Jesu Christi mit den Menschen als lebendigen Steinen und Christus als Fundament werde bleiben.